Wär es auch nichts als ein Traum vom Glück – Gustav Mahler und die Kultur seiner Zeit

Vortrag von Univ. Prof. Dr. Herbert Zeman
10. Oktober 2011

Über Jahrhunderte hinweg besann man sich in schweren Zeiten auf die Kunst. „Wär es auch nichts als ein Traum vom Glück“, diese Zeile aus Franz Lehárs (1870-1948) Operette Eva (1911) steht als Leitsatz für die Kunst und die Einstellung der Menschen zur Zeit Gustav Mahlers (1860-1911), einer Zeit des Umbruchs und der Defizite sowohl im Bereich der Politik als auch der Kunst.

Nach Franz Schubert (1797-1828) mangelte es an bedeutenden Komponisten, die Österreich als Zentrum ihres Schaffens betrachtete und mit Neuartigem begeistern konnten. Franz Liszt (1811-1886) schloss sich dem französischen Kulturkreis an, Richard Wagner wählte Deutschland als Schaffensstätte. Erst Richard Strauß (1864-1849) und Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) belebten Österreich wieder mit ihrer künstlerischen Arbeit.

Die Kunst musste also einen Ausweg finden und wandte sich den Traditionen und Werten des 18. und anfänglichen 19. Jahrhunderts zu. Die Welt als Ganzes zu betrachten, Bodenständigkeit und das Ideal der Familie sowie des Herrschers, der als erster Diener des Staates stilisiert wurde, schufen eine gemütliche Grundlage für eine neue Art von musikalisch-literarischen Gattungen. Aus dem Walzer – ursprünglich als Tanzmusik komponiert – entwickelte sich die Operette. Die Sammlung und Belebung des Volksliedes, an der Erzherzog Johann (1782-1859) maßgeblich beteiligt war, machte dieses auch in der Stadt gesellschaftsfähig uns es entstand als völlig eigenständige Gattung das Wienerlied.

Die Brüche in der Gesellschaft mit aufsteigender sozialer Unzufriedenheit und dem drohenden Zerfall des Vielvölkerstaates führten zu einer bescheidenen, heiteren Haltung des Einzelnen. Während es um einen herum tobte, zog man sich zurück anstatt zu streiten, führte ein redliches Leben mit Ehrfurcht vor dem Anderen und konnte dem Lebensende mit ruhigem Gewissen entgegengehen, so geschildert in Ferdinand Raimunds (1790-1836) „Hobellied“ aus Der Verschwender (1834) und zahlreichen Wienerliedern. Das Glück des Augenblicks zu genießen, bedeutete Trost in der Ausweglosigkeit der Realität. Die ironische Satire des Kabaretts oder die romantisch verklärte Vergangenheit, die sehnsuchtsvolle Rückwertsgewandtheit, die bei Mahler zum Ausdruck kam, halfen die Wirklichkeit zu bewältigen.

Die Menschen suchten Halt im Glauben oder bei der Partei. Schließlich wollte man als Österreicher nicht im Vielvölkerstaat untergehen und schloss sich mit Blick stets gen Westen der groß- oder kleindeutschen Lösung an.

Um 1900 fand eine Abwendung vom Klerikalen und Politischen statt, die Dichter, darunter Ferdinand von Saar (1833-1906), Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916), Arthur Schnitzler (1862-1931), Georg Trakl (1887-1914), und Robert Musil (1880-1942), um nur einige bedeutende Namen zu nennen, gingen ihren eigenen Wege und ließen sich keiner Richtung mehr zuordnen. Eine deutliche Trennung von Kunst und Politik wurde vollzogen.

Der Untergang durch den nahenden ersten Weltkrieg war auch in der Kunst spürbar. Vorbei war es mit der Darstellung und Verherrlichung alter Werte. Der Monolog der Marschallin in „Der Rosenkavalier“ (1911) geht auf die alten Moralvorstellungen ein, der Rest der Handlung allerdings zeigt das Gegenteil. So ging man dem Zerfall von Kulturen, Ländern und Religionen entgegen.