Geschichte

Der Ennstaler Kreis wurde 1951 von LAbg. Dr. Alfred RAINER unter der Patronanz von Landeshauptmann ÖR Josef Krainer ins Leben gerufen. Im Schloss Paltenstein und später durch viele Jahre im Hotel „Wasnerin“ in Bad Aussee trafen sich Dichter, Politiker und Wissenschafter, die im Ausseer-Land eine zweite Heimat gefunden hatten. Damit sollte eine Begegnungsbasis für einen Dialog zwischen der Österreichischen Volkspartei mit ihren christlich-sozialen Wurzeln und Vertretern des sogenannten nationalliberalen Lagers auf hohem intellektuellem Niveau geschaffen werden.
Seit 1965 finden die Tagungen im Hotel „Almfrieden“ in der Ramsau am Dachstein statt.
1966 übernahm nach dem Tod von LAbg. Dr. RAINER Bundesrat Otto HOFMANN-WELLENHOF die Leitung der Tagungen. Von 1989 bis 2006 zeichnete LAbg. Hofrat Dr. Hans STEINER für den Kreis verantwortlich. Seit der Herbsttagung 2006 war der frühere Landesrat und Abgeordnete Dipl.Ing. Hans Georg FUCHS für die Vorbereitung und den Vorsitz der Tagungen verantwortlich, die 2012 auf die ehemalige Bundesministerin Dkfm. Ruth FELDGRILL-ZANKEL übergingen.
Die Patronanz haben Landeshauptmann a.D. Dr. Josef KRAINER, Landeshauptmann Hermann SCHÜTZENHÖFER und die Witwe des Gründers, Helene RAINER, inne.
Der Horizont der Gründer war weit gesteckt: Es ging ihnen um den Kontakt mit Wirtschaftsliberalen und Konservativen, welche nicht unbedingt christlich geprägt waren. So sprach zum Beispiel Prof. Joachim SCHOEPS (Erlangen) über „Konservative Erneuerung“, und der Schriftsteller Ernst JÜNGER, der „klassische Konservative“, war zweimal Gastreferent beim Ennstaler Kreis. Gleichzeitig wurden in einem ökumenischen Sinn das katholische und das protestantische Element eingebunden. Neben Kardinal Franz KÖNIG oder den katholischen Bischöfen Reinhold STECHER, Egon KAPELLARI, Franz LACKNER und Johann WEBER hielten im Ennstal die evangelischen Bischöfe Gerhard MAY, Dieter KNALL und Herwig STURM Vorträge; Univ.-Prof. Dr. Bassam TIBI betrachtete den Islam. In späteren Jahren folgten u.a. Univ.-Prof. Dr. Ednan ASLAN, Bischof Hon.-Prof. Dr. Michael BÜNKER, Weihbischof DDr. Helmut KRÄTZL.

Ennstaler Kreis und Europa

Neben den Bemühungen, durch kompetente, hochrangige Referentinnen und Referenten aus Deutschland die geistige Verbindung mit dem Nachbarn zu pflegen, spielte bei den Veranstaltungen des Ennstaler Kreises schon sehr früh der Europa-Gedanke eine entscheidende Rolle. Zu einer Zeit, als in Österreich ein Beitritt zu Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wegen Neutralität und „Kaltem Krieg“ nicht opportun schien, wurde in der „Wasnerin“ in Bad Aussee bereits 1963 „Österreichs Weg zur EWG“ (Referent Prof. Dr. Franz NEMSCHAK) diskutiert. Südtirol und seinen Beziehungen zu Österreich war eine ausführliche Diskussion gewidmet, an der Landeshauptmann a.D. Dr. Silvius MAGNAGO und Landeshauptmann Dr. Luis DURNWALDER beteiligt waren. Referenten waren ebenso u.a. Franz Josef STRAUSS, Walter SCHEEL und der später von der RAF ermordete Präsident der Deutschen Arbeitgeberverbände, Hans Martin SCHLEYER. Die Liste prominenter Referenten und Referentinnen lässt sich fortsetzen mit Otto von HABSBURG, dem belgischen Ministerpräsidenten a.D. Leo TINDEMANS, dem regierenden Bürgermeister von Berlin Eberhard DIEPGEN, dem Ministerpräsidenten von Thüringen Dr. Bernhard VOGEL, der Präsidentin des deutschen Bundestages Dr. Rita SÜSSMUTH, der Herausgeberin der „Zeit“ Dr. Marion Gräfin DÖNHOFF, den österreichischen EU-Kommissaren DI Dr. Franz FISCHLER, Dr. Benita FERRERO-WALDNER, Dr. Johannes HAHN, dem damaligen Vizepräsidenten des EU-Parlaments Othmar KARAS, Karl Fürst von SCHWARZENBERG und zahlreichen Mitgliedern der jeweiligen österreichischen Bundesregierungen.
Auch wurden immer wieder Referentinnen und Referenten aus den verschiedenen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien eingeladen, um den Ennstaler Kreis über die Lage am Balkan zu informieren und Vertreterinnen und Vertretern dieser Länder eine Beziehung zu Österreich und Europa zu bieten.
Aus dem Kulturbereich seien in den letzten Jahren etwa die Präsidentin der Salzburger Festspiele, Dr. Helga RABL-STADLER, oder Staatsoperndirektor a.D. Joan HOLENDER herausgegriffen, aus der Wissenschaft Historiker wie Manfried RAUCHENSTEINER oder die TU-Rektoren SÜNKEL und KAINZ.
Die Liste aller Referentinnen und Referenten ab 1962 kann abgerufen werden.

Ennstaler Kreis Heute

Im Verlauf der Jahre ist der ursprüngliche Gründergedanke in den Hintergrund getreten. Der hochangesehene Ennstaler Kreis ist heute ein Symposium, das zweimal im Jahr (Frühjahr und Herbst) stattfindet. Sie wollen über die politischen, geistig-kulturellen und wirtschaftlichen Ereignisse und Entwicklungen in Österreich, unseren Nachbarländern und Europa insgesamt informieren und eine Auseinandersetzung mit brisanten und grundsätzlichen Fragen der Zeit und der Zukunft im Geiste der Offenheit ermöglichen. Bedeutende Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kunst und Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft, Religion und Gesellschaft finden ein Forum von 150 bis 200 Diskutierenden vor.
Eine Teilnahme ist nur mit persönlicher Einladung möglich.

„Zum Abschied eine Zwischenbilanz“

Ennstaler Kreis 1951 – 2018
Kurt Wimmer – Ruth Feldgrill

Ruth Feldgrill:

„Lernen Sie Geschichte!“ hat Bruno Kreisky einem Journalisten auf eine in seinen Augen naseweise Frage entgegengebrummt. Diesen Anspruch auf Vollständigkeit erheben wir nicht. Aber eine Zwischenbilanz erscheint uns zu einem doch recht umfassenden personellen Abschied angebracht.
Ich habe Kurt Wimmer darum gebeten: Er ist Historiker, war weit über die Steiermark hinaus prägender kritischer Journalist und hat im „Arbeitsausschuss“ zur Vorbereitung unserer Tagungen den Ennstaler Kreis mit seinen Anregungen entscheidend mit gestaltet.
Für mich ziehen sich die Liebe zur und Interesse an der Geschichte seit meinen Schultagen durch. Und nicht nur die Mitverantwortung in den letzten 12 Jahren und unser bevorstehender Rückzug lassen es geboten erscheinen, Ihnen als Gäste, Zeitzeugen, MitgestalterInnen und auch neu Hinzugekommenen – zumindest fragmentarisch – Bericht zu erstatten aus den 67 Jahren dieses Diskussionsforums.

Kurt Wimmer:

Zugang zum Ennstaler Kreis als Referent 1972
Zeitgeschichte – außen- und innenpolitisches Umfeld
Den ersten direkten Kontakt mit dem Ennstaler Kreis hatte ich bei der Frühjahrstagung 1972: Ich wurde vom damaligen Vorsitzenden Bundesrat Otto Hofmann-Wellenhof eingeladen, einen Vortrag zum Thema China zu halten, das sich unmittelbar nach der sogenannten Kulturrevolution allmählich dem Westen öffnete. Ich hatte am Jahresende 1971 meine Eindrücke von einer China-Reise in einer Serie in der Kleinen Zeitung geschildert.
Wie ich zu dieser Einladung nach China kam, war etwas abenteuerlich: Die Bundeswirtschaftskammer hatte im November 1971 eine Gruppe Journalisten zu einem Besuch österreichischer Handelsdelegationen eingeladen. Diese Handelsmissionen gab es in manchen Ländern schon vor den Botschaften. Vorgesehen war bei dieser Reise auch ein kurzer Aufenthalt in Peking. Die diplomatischen Beziehungen zu China waren erst im Mai 1971 aufgenommen worden.
Die Gruppe fuhr von Tokio nach Hongkong, und dort gaben wir unsere Pässe ab, um das Visum nach China zu bekommen. Als die Pässe zurückkamen, hatten nur zwei ein Visum drin: Der eine gehörte Sepp Gasser, einem Kollegen von der Bunten Illustrierten, und der andere mir. Es stellte sich später heraus, dass die anderen Blätter ein Inserat der taiwanesischen Regierung veröffentlicht hatten, ein Inserat mit völlig harmlosem Inhalt, in dem das Volk von Taiwan dem österreichischen Volk die besten Weihnachtswünsche übermittelte. Für die Chinesen bedeutete das aber die Anerkennung der Zwei-China-Theorie und damit den politischen Bann. Der Kleinen Zeitung und der Bunten Illustrierten war dieses Inserat offenbar nicht angeboten worden.
Ich schildere das alles deshalb etwas ausführlicher, weil ich an diesem Beispiel aufzeigen möchte, wie radikal sich die Welt innerhalb eines, historisch gesehen, kurzen Zeitraumes verändert hat.
Wir wurden also sehr höflich mehr als zwei Wochen im Land herumgeführt, und bei der Heimkehr erfuhr ich noch im Flugzeug, dass Landeshauptmann Josef Krainer vor wenigen Tagen verstorben war.
Er agierte seit der Gründung des Ennstaler Kreises Anfang der 50er Jahre als Protektor dieses Diskussionsforums. Krainer war nicht nur ein Naturtalent als erfolgreicher Regionalpolitiker mit starkem Einfluss auf die österreichische Bundespolitik, er gehörte auch seit 1945 zu den glühenden Verfechtern des Gedankens eines vereinigten Europas. Vorträge über dieses Europa von den verschiedensten kompetenten Referenten gehören daher zu einem Kontinuum des Kreises durch alle Jahre seines Bestehens, ebenso wie das Thema und die Praxis der Ökumene. Referenten waren katholische und protestantische Bischöfe, auch Franz Kardinal König und Bischof Michael Bünker waren eingeladen, Superintendenten und Theologen, wie Mario von Galli, oder Paul Zulehner kamen – um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Dass ich eingeladen wurde, war, so nehme ich an, nicht w e i l ich von der Kleinen Zeitung kam, sondern o b w o h l ich bei diesem Blatt arbeitete. Denn zwischen den Parteiblättern Südost-Tagespost (ÖVP) und Neue Zeit (SPÖ) einerseits und der unabhängigen Kleinen Zeitung tobte damals ein heftiger Konkurrenzkampf. Die Kleine Zeitung galt in manchen ÖVP-Kreise als „linkskatholisch“, und Hardliner in der Partei bezeichneten uns Journalisten dort als „Herz-Jesu-Kommunisten“.
Da redete ich also vor dem Ennstaler Kreis, der für mich ein weitgehend unbekanntes Terrain war: Ein Diskutierklub der ÖVP, der vom Parteisekretär Alfred Rainer gegründet worden war, um den Kontakt mit sogenannten nationalliberalen Wirtschaftskreisen zu fördern.
Was bei diesem Ennstaler Kreis debattiert wurde und wer sich dort in einem Hotel in der Obersteiermark traf (zuerst bei der „Wasnerin“ in Bad Aussee, dann ab 1965 im Hotel „Almfrieden“ in der Ramsau) –, war nur Insidern bekannt. So galt der Kreis auch als eine Art Geheimklub und war von Gerüchten umwoben. Tatsächlich ging es um die Kontaktpflege mit sogenannten Nationalliberalen. Konkret bedeutete das, vor allem in den Anfängen, Wiedergewinnung von „Ehemaligen“.
Dazu eine Zwischenbemerkung: Ehemalige Nationalsozialisten waren bei den ersten Wahlen 1945 noch vom Wahlrecht ausgeschlossen und durften erst vier Jahre später bei den Wahlen 1949 wählen. Damals kandidierte die Vorgänger-Partei der FPÖ, der Verband der Unabhängigen (VdU), zum ersten Mal. Die Partei war unter Mithilfe des sozialistischen Innenministers Helmer zur Wahl zugelassen worden, weil die SPÖ hoffte, damit die bürgerliche ÖVP zu spalten. Die Volkspartei hatte zwar 1945 die absolute Mehrheit errungen, entschloss sich aber, als Lehre nach den tragischen Ereignissen des Bürgerkrieges 1934, mit den Sozialisten zu koalieren.
Der VdU gewann 1949 auf Anhieb 16 von den damals noch 165 Mandaten (ÖVP 77, SPÖ 67, KPÖ 5). Dabei stellte sich heraus, dass, abgesehen von dem relativ geringen Prozentsatz des harten deutschnationalen Kerns der „Ehemaligen“, der Zugewinn der neuen Partei von Wählern der ÖVP u n d der SPÖ kam, und zwar etwa 50 zu 50. Das heißt, nicht nur die bürgerliche ÖVP war geschwächt worden, sondern auch die SPÖ. Und um die Rückgewinnung dieser Wähler ging es. Nur nebenbei: Die Wahlbeteiligung betrug damals 95,5 Prozent.
Den Verantwortlichen des Ennstaler Kreises gelang es immer wieder, Vortragende mit internationaler Reputation zu gewinnen. So auch zum Beispiel Hans Martin Schleyer, den Präsidenten der deutschen Arbeitgeberverbände, der später von der Rote Armee-Fraktion ermordet wurde. Er sprach im Herbst 1974 zum Thema „Gesellschaftspolitik in der Entscheidung“.
Nicht immer ging es bei diesen Tagungen um große Politik. So war zum Beispiel im Herbst 1967 der Schriftsteller Ernst Jünger zu Gast im „Almfrieden“. Laut verfügbarer Referentenliste sprach Jünger zum Thema „Tage auf Formosa“, und ich nehme an, dass es dabei um eine Lesung aus seinen Tagebüchern ging, die später in vier Bänden unter dem Titel „7O verweht“ veröffentlicht wurden. Darin schildert er Eindrücke von einer Schiffsreise im Jahr 1964, die ihn auch kurz nach Formosa geführt hatte. Eine der wenigen politischen Bemerkungen, die ich darüber bei der Lektüre dieser Tagebücher gefunden habe, war folgender Satz: „Nationalchina, diese kostspielige amerikanische Fiktion“.
Womit wir wieder bei China wären und ich ja versprochen hatte, den Bogen zum Heute zu schlagen: Damals war ein Inserat der Grund, warum Journalisten nicht nach China einreisen durften. Und es war 1971 schier unmöglich, unseren chinesischen Gesprächspartnern zu erläutern, was ein Inserat eigentlich bedeutete. Heute lese ich in der Zeitung, dass eine staatliche chinesische Baufirma ein großes Brückenprojekt in Kroatien verwirklicht und dass die Strabag, die sich ebenfalls beworben hatte, um 70 Millionen Euro unterboten wurde. Das Projekt wird übrigens großzügig mit EU-Mitteln gefördert.
Damals wurden wir als exotische Gäste auf der Straße bestaunt und immer wieder voll Stolz zu einfachen Bewässerungsanlagen geführt, um uns zu demonstrieren, wie der große Vorsitzende Mao Tse Tung erfolgreich den Hunger in dem Riesenland bekämpfte. Heute lese ich in einem aufwändig gestalteten Prachtband mit dem schlichten Titel „Österreich“ und dem Untertitel „Geschichte, Gegenwart, Zukunft“ den kleingedruckten Vermerk „Printed in China“.
Als Herausgeber zeichnet Hannes Androsch, der ebenfalls schon Gast beim Ennstaler Kreis war.
China stand auch in den folgenden Jahren mehrmals auf dem Tagungsprogramm, u.a. zum Beispiel mit Carl Gustav Ströhm als Vortragendem, der „Mit Strauß in China“ war. Aber der streitbare bayrische CSU-Politiker war damals nicht nur in China, sondern auch einmal beim Ennstaler Kreis.
Ich hatte nach 1972 mit dem Ennstaler Kreis 17 Jahre nichts mehr zu tun und war auch anderweitig ziemlich beschäftigt, denn die „Kronenzeitung“ hatte sich darangemacht, den steirischen Zeitungsmarkt mit einer eigenen Regional-Ausgabe zu erobern. Zudem hatte ja 1970 die gesellschaftspolitisch und publizistisch besonders interessante Zeit der Alleinherrschaft der SPÖ unter Bruno Kreisky begonnen, die 13 Jahre dauern sollte. Und auch dann sollte es noch bis zum Jahr 2000 dauern, bis die ÖVP mit Wolfgang Schüssel wieder den Bundeskanzler stellte.
Otto Schulmeister, der langjährige Chefredakteur der „Presse“, ahnte noch nichts von dieser langen Durststrecke für die Volkspartei, als er vor dem Ennstaler Kreis 1971 zu einem damals aktuellen Thema sprach: „Ist die Rechte taubstumm geworden?“. In Europa gab es zu dieser Zeit mit dem Trio Willi Brandt, Olof Palme und Bruno Kreisky nämlich eine politisch recht einflussreiche Strömung des demokratischen Sozialismus.
Ich stieß dann erst wieder im Jahr 1989 zum Ennstaler Kreis. Otto Hofmann- Wellenhof war 1988 gestorben und Hans Steiner hatte die Leitung übernommen. Der Gymnasialprofessor für Latein und Griechisch und Landtagsabgeordnete hatte von 1960-1980 das Katholische Bildungswerk geleitet, und wir kannten uns aus dieser Zeit.
1989 war das Jahr, in dem die Berliner Mauer fiel – als deutliches Symbol des nahen Zusammenbruchs des Kommunismus. In Österreich wirkte noch immer die Waldheim-Affäre nach. Es gab nach dem Zwischenspiel einer kleinen rot-blauen Koalition unter Fred Sinowatz und Norbert Steger seit ein paar Jahren wieder eine Große Koalition, geführt vom SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky. Und es folgte der unaufhaltsame Aufstieg des Jörg Haider, der 1989 Landeshauptmann von Kärnten wurde. 1988 war die Südost-Tagespost eingestellt worden – auch das ein Symbol: für den unaufhaltsamen Niedergang der Parteipresse.
Im Programmbeirat des Ennstaler Kreises bemühte ich mich zunächst, Literaten für Lesungen und Diskussionen vorzuschlagen. Es kamen damals u.a. Gertrud Fussenegger, Barbara Frischmuth, Andrea Wolfmayr und Alois Brandstetter in den „Almfrieden“. Und im Jahr 1994 auch Marion Gräfin Dönhoff.
Ein Jahr später trat Österreich der EU bei.
Marion Gräfin Dönhoff war in Deutschland schon in den 60er Jahren durch das Buch „Namen, die keiner mehr kennt“, bekannt geworden: Die Schilderung ihrer abenteuerlichen Flucht zu Pferd aus Ostpreußen vor den sowjetischen Truppen. Sie wurde Chefredakteurin und Herausgeberin der Hamburger „Zeit“, schrieb zahlreiche politische Essays und auch einen Band mit Beiträgen über ihre Begegnungen mit prominenten Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt, Anwar al-Sadat, Henry Kissinger, Andrej Sacharow, Nelson Mandela und andere.
Die einflussreiche Publizistin plädierte unermüdlich für einen ethischen Minimalkonsens, ohne den keine Gesellschaft bestehen kann, und warnte davor, dass totaler Positivismus als einzige Sinngebung, ohne jeden Bezug zu metaphysischen Quellen, den Menschen auf Dauer nicht befriedige.
1992 hatte sie als Herausgeberin mit sechs anderen Autoren das Manifest „Weil das Land sich ändern muss“ publiziert und u.a. darauf hingewiesen, dass das neue Europa Gefahr laufe, ausschließlich auf Wachstumsraten, Sozialprodukt und Außenhandelsbilanzen reduziert zu werden und seine geistigen Wurzeln zu vergessen.
Ein Thema, das heute besonders aktuell ist, wurde im Ennstaler Kreis schon 1981 aufgegriffen. Da referierte der Grazer Universitätsprofessor Peter Klaudy über „Untergang im Meer der Überfremdung? – Gedanken zum Gastarbeiter- und Asylantenproblem“.
Noch war keine Rede von Islamismus und Terrorgefahr. Und als ein Jahr vorher in der Ramsau der Göttinger Arabist Albert Dietrich zum Thema „Islam und Abendland“ sprach, dürfte das auch ein eher wissenschaftliches Referat über wechselseitige kulturelle Einflüsse gewesen sein.
Wie umwälzend sich die Lage indes verändert hatte, zeigte sich 1999, als wieder ein Professor aus Göttingen in den „Almfrieden“ kam. Diesmal war es ein Politologe syrischer Herkunft und ein Moslem: Bassam Tibi. Ein Jahr zuvor hatte er ein Buch über die Krise der multikulturellen Gesellschaft veröffentlicht, das in Deutschland heftig diskutiert wurde. Der Titel war „Europa ohne Identität?“. Mit Fragezeichen, wohlgemerkt. Bassam Tibi widmete dieses Werk in einer Einleitung seinem „verehrten jüdischen Lehrer Max Horkheimer.“ Von ihm habe er gelernt, sich gegenüber Europa kritisch zu verhalten und es dennoch zu bewundern.
Kernpunkt der aggressiven Attacken von linker Seite gegen diesen nach Eigendefinition „wertemäßig fast Volleuropäer“ war die Tatsache, dass er den Begriff „Leitkultur“ verfocht. Er ortete nämlich einen Weg Europas, der von der „Europa-Arroganz westlicher Weltherrschaft zur kulturrelativistischen Selbstverleugnung“ führe. In dieser deutschen Debatte ging es vor allem um das Wort „Leitkultur“, weil damit, so wurde argumentiert, ein Führungsanspruch erhoben werde. Dabei plädierte Bassam Tibi nur für das, was eigentlich Minimalkonsens sein sollte: eine demokratische Zivilgesellschaft, die Menschenrechte, Freiheit und Toleranz garantiert, gleichzeitig aber, wenn es notwendig sein sollte, ihre Wehrhaftigkeit gegen intolerante Gegner unter Beweis stellt.
Von Gegnern wurde die Forderung nach einer Leitkultur als „verschmockt-autoritäres Postulat“ abqualifiziert, und am 2. 11. 2000 schrieb Gustav Seibt in der „Zeit“: „Wer fordert, dass eine Leitkultur her muss, damit sich die Fremden anpassen, der hat schon zugegeben, dass es uns an kulturellem Charme fehlt, mit dem man die Fremden am besten bei uns eingliedert.“
Nicht einmal ein Jahr später gab es dann in New York das Flugzeug-Attentat auf das World Trade Center.
Im Jahr 2018 ist diese Diskussion offenbar noch immer nicht abgeschlossen, nur wird ja kaum noch ernsthaft debattiert und die Rechte, die Otto Schulmeister einst als „taubstumm“ einordnete, ist heute sehr, sehr laut geworden.
Nach dem Fall der Mauer bemühte sich der Kreis auch um Referenten aus den Staaten des einstigen Ostblocks. So sprach zum Beispiel der serbische Schriftsteller und Mitglied der Akademie der Wissenschaft in Belgrad, Dobrica Cosic, über den „Kommunismus in der Krise am Beispiel Jugoslawiens“ und 1991 kam der Präsident des kroatischen Parlaments Zarko Domljan und erläuterte „Die Situation der Republik Kroatien“. Das Thema blieb bis in die jüngste Zeit aktuell, kommentiert von ORF-Korrespondenten wie Ernst Gelegs (über Ungarn) oder Christian Wehrschütz (über die Ukraine).
Die Verhältnisse in unserer unmittelbaren Nachbarschaft standen schon früher immer wieder zur Debatte. So machte sich Carl Gustav Ströhm 1970 im „Almfrieden“ Gedanken über eine Entwicklung, die uns auch heute besonders bedrängt. Er sprach nämlich über „Das neue Nationalbewusstsein in Osteuropa“ und drei Jahre später frage er sich: „Was wird aus Jugoslawien nach Tito?“.

Ruth Feldgrill:
Ein kleiner Spiegel der Zeitgeschichte.

Meine Erinnerungen reichen sogar weiter zurück: Ich durfte 1967, damals noch aus Wien kommend, über Einladung von Landesparteisekretär Franz Hasiba mit einigen anderen „jungen Wilden“ wie etwa Bernd Schilcher erstmals dabei sein, war zutiefst beeindruckt – unter anderen vom jungen Staatssekretär Josef Taus, der nach seinem wirtschaftspolitischen Referat dringend nach Wien zurück musste, um seine soeben geborene Tochter zu sehen.
Ich habe also 51 Jahre Ennstaler Kreis mit einigen berufs- oder familienbedingten Unterbrechungen mit erlebt und alle seine Vorsitzenden gekannt: den Gründer Alfred Rainer hatte ich kurz davor noch getroffen, 23 Jahre Otto Hofmann-Wellenhof, 17 Jahre Hans Steiner, 6 Jahre Hans Georg Fuchs – und alle Landeshauptleute, die die Patronanz innehatten: Josef Krainer sen., Friedrich Niederl, Josef Krainer jun., Waltraud Klasnic und aktuell Hermann Schützenhöfer, … und nicht zuletzt die langjährige gute Seele Helga Borovsky.
Der Ennstaler Kreis war und ist eine steirische Erfindung, über das Ennstal und Landesgrenzen hinaus aber ein Element und vor allem ein kleiner Spiegel der Zeitgeschichte. Natürlich der Politik, natürlich der Religionen, wissenschaftlicher Fortschritte, kultureller, literarischer Glanzlichter, gesellschaftlicher Veränderungen.
Ich erinnere mich dankbar – willkürlich herausgegriffen – an Highlights wie Christine Beerli vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes in Genf, an Weihbischof Krätzl, Fulbert Steffensky, Ednand Aslan, Hermann Kröll und „seine“ Special Olympics, Helga Rabl-Stadler und „ihre“ Salzburger Festspiele, Manfried Rauchensteiner, Karin Kneissl, Sabine Ladstätter oder, um weit zurückzugreifen, an die amerikanische Botschafterin Swanee Hunt, Rita Süssmuth oder Marion Gräfin Dönhoff (neben einigen wenigen anderen Vortragenden, deren Einladung uns heute seltsam anmutet, aber eben Geschichte ist).
Ein amüsantes, vielleicht aber doch bezeichnendes Detail zur gesellschaftlichen Entwicklung, die sich auch im Ennstaler Kreis spiegelt: Ich habe 465 Vortragende durchgezählt; 38 Mal waren es Frauen, 26 davon im letzten und ganze 12 in den 6 Jahrzehnten davor.
Für die Auslotung von Themenbereichen und Referenten hat Hans Steiner den „Arbeitsausschuss“ eingerichtet, dem nun (altersbedingt) ebenfalls eine große Zäsur bevorsteht. Tragende Säulen waren in meiner Zeit vor allem Hans Georg Fuchs, Philipp Harnoncourt, Franz Hasiba, Günther Feldgrill, Naomi Kienreich, Luise Kloos, Ulli Kopp, in einer (wertvollen!) Fernbeziehung Christoph Robinson, Gabi Singer, die unser „kreatives Chaos“ dokumentiert hat – und eben immer Kurt Wimmer.

Kurt Wimmer:
Der „Arbeitsausschuss“

Das Verdienst Hans Steiners, der den Kreis von 1989 bis 2006 leitete, war es, dass er dieses Diskussionsforum für die Medien öffnete und vom Verdacht befreite, dort würden allzu rechtslastige Referenten ihr Unwesen treiben. Sein Nachfolger Hans- Georg Fuchs, der von der Wirtschaft kam, beeindruckte mich durch seine Neugier auf unkonventionelle Themen – auch religiöse. So lud er zum Beispiel die feministische Theologin Irmgard Fischer ein, die über „Die Frau in der Bibel“ sprach. Zudem unterlief er immer öfter die Tradition Steiners, der grundsätzlich die gesamte Tagung selbst moderiert hatte. Ruth Feldgrill-Zankel als Nachfolgerin von Hans-Georg Fuchs war dann erfolgreich bemüht, auch die Moderationen personell sehr mannigfaltig zu gestalten.
Die Ex-Ministerin ging überhaupt mit einer Verve an ihre neue Aufgabe heran, die mitreißend war. Allein die Verlagerung der Programmdiskussionen von einem Büro-Kammerl in der Graz Burg in die Privatsphäre ihrer hellen Dachwohnung wirkte geistanimierend. Ich bemühte mich zwar, möglichst immer zwei konkrete Vorschläge für Themen oder Vortragende zu finden, aber wir diskutierten oft über Gott und die Welt; der einzige Ordnungsruf von Ruth Feldgrill-Feldgrill Zankel war dann sehr oft: „Aber wir haben noch immer keine Frau!“. Sie brachte einen Flair Feminismus in die Runde, aber es war ein bürgerlicher Feminismus. Als sie nach ihrer Nominierung in den Grazer Stadtsenat fest entschlossen war, sich mit „Frau Stadträtin“ ansprechen zu lassen, erkundigte sie sich zum Beispiel vorsichtshalber im Germanistischen Institut der Grazer Universität, ob dieser „Pleonasmus“ auch korrekt sei, worauf sie die befriedigende Antwort erhielt: „Man sagt ja auch Herr Landeshauptmann.“
Von den Mühen der Ebene, nämlich aus dem Wust von Namen und Vorschlägen jedes Jahr zweimal ein attraktives Programm zu formen, macht sich wahrscheinlich nur jemand eine Vorstellung, der selbst schon versucht hat, vielbeschäftigte Referenten zu gewinnen.
Liebe Ruth, Ich danke Dir und Deiner umsichtigen, scheinbar nicht aus der Ruhe zu bringenden Mitarbeiterin Gabi Singer, die auch die Aufgabe hatte, das Protokoll dieser Programmsitzungen zu führen. Und das muss manchmal ziemlich schwierig gewesen sein.
Die Sinologen bestreiten das zwar, aber es soll einen alten chinesischen Fluch geben, der lautet: „Mögest du in interessanten Zeiten leben“. Wir leben in sehr interessanten Zeiten. Hoffentlich werden sie nicht noch interessanter. Ich wünsche unserem Nachfolge-Team mit Beatrix Karl jedenfalls alles, alles Gute.
Das war nur mein persönliches Schlusswort. Das letzte Wort hat natürlich die Leiterin…

Ruth Feldgrill:
„Quereinstieg als Beitrag zur Gesprächskultur“
Transparenz und Öffnung als Auftrag

Kurt Wimmer und ich haben in einer unserer Vorbesprechungen befürchtet, die wilde Diskutierfreude unserer Jugendjahre (1968!) hätte einer gewissen Diskussions-Unlust Platz gemacht. Dem will der Ennstaler Kreis aus Überzeugung entgegenwirken. Bei aller aufklärerischen, humanistischen, christlichen Grundhaltung glaube ich fest daran, dass wir den Umbrüchen, mit denen wir heute konfrontiert sind, nicht im starren Beharren auf alten eigenen Standpunkten und der Ablehnung des Anderen, des Neuen, auch des Unbekannten begegnen können. Wir wollen riskanter denken, wir wollen den „zivilisierten Streit, die befruchtend respektvolle Auseinandersetzung“ (c. Matthias Strolz bei seiner Abschiedsrede im Parlament). Deshalb haben wir auch immer versucht, „Mainstream“-Themen aus einem bewusst „anderen“ Blickwinkel aufzugreifen.
Europa war von Anfang an ein Schwerpunkt – wir hatten namhafte VertreterInnen der Europäischen Union und natürlich SpitzenvertreterInnen nicht nur der österreichischen Innenpolitik.
Für mich – und ich weiß mich da mit vielen, alten und jungen Gästen eins – gehört nicht nur als Interesse am Andersdenkenden die hier gelebte Ökumene zu den Markenzeichen des Ennstaler Kreises: Die Dialogpredigten der letzten Jahre mit Philipp Harnoncourt und Hermann Miklas haben regelmäßig auch weiterdiskutierende Nachtschwärmer pünktlich um 8.30h am Sonntag dabei sein lassen. Und ich bin sicher, sie haben auch zumindest etwas mit-bewegt.
In Nachbarländer hineinzuschauen und aus ihnen zu hören, mit zunehmender Globalisierung auch in und aus anderen Kontinenten, hat uns kennenlernen, zum Nachdenken anregen und diskutieren lassen.
Und nicht zuletzt der Eintritt ins Zeitalter der Digitalisierung und die völlig neue Medienlandschaft haben vor allem die Älteren unter uns im (seit 1965) wohlvertrauten „Almfrieden“ ordentlich gefordert.
Das verlangt uns Offenheit ab und Erweiterung.
2007 hat Hans Georg Fuchs den „Verein zur Förderung des Dialogs in Demokratie, Bildung, Wissenschaft und Kultur“ gegründet, um dem Ennstaler Kreis einen tragenden Rückhalt zu geben. Ich darf mit einem herzlichen Dank an Sie alle berichten, dass wir uns wachsenden und kontinuierlichen Mitglieder-Zuspruchs als Zeichen einer besonderen Verbundenheit erfreuen und darin auch eine Ermutigung, wenn nicht einen Auftrag für die Weiterführung dieses Gesprächsforums sehen.
Diese Geschichte darzustellen, soweit es uns irgend möglich war, zu rekonstruieren und transparent zu machen, war mein erstes großes Projekt als Vereinsvorsitzende – und Gestaltungs-Auftrag an Luise Kloos: Seit damals findet man alles im Internet. Vielen herzlichen Dank!
Und die zweite Verpflichtung für die Zukunft war die Öffnung, vor allem auch in Richtung Jugend, die wir ansprechen wollten und eingeladen haben. Ich bin unserer ersten Finanzreferentin, meiner verstorbenen Freundin Cordula Frieser, dankbar für die Idee zu unserem Stipendiatenprogramm, an dem sich seit Jahren unsere Hochschulgemeinden und das Außenministerium mit seinem Integrationsfonds anschließen. Mein Stellvertreter im Vorstand, Josef Mantl, hat ihrer Umsetzung zu Beginn Schwung, Struktur, Hartnäckigkeit – und sein großes Netzwerk! – gegeben.
Die überaus positive Reaktion unserer langjährigen Mitglieder und das Feedback unserer neuen Gäste sind hoffentlich auch ein zukunftsträchtiges Zeichen für diese Bereicherung.
Verjüngung und Offenheit darf man nicht nur als Credo vor sich hertragen; man muss sie auch leben: Alle 4 legen wir unsere Vorstandsfunktionen im Verein am Anfang des nächsten Jahres zurück und machen Platz für Neues.
Der Ennstaler Kreis geht in sein 68. Jahr.
Und ich ins 77.
Ich freue mich mit allen, denen unsere Zusammenkünfte in der Ramsau – intellektuell, moralisch oder auch gesellig – etwas gebracht haben, und danke für ihre Treue und ihren Beitrag.
Ich danke allen Mitstreitern und Mitstreiterinnen, allen Vortragenden, die uns zunehmend auch durch ihre Teilnahme an den anderen Themenblöcken ausgezeichnet haben.
Dank gebührt auch dem Land Steiermark, das uns in all diesen Jahren die Existenz abgesichert hat; für die Virulenz sind wir selber verantwortlich.
Sie soll auch weitergehen:
Darum darf ich – ich hoffe, auch in Ihrem Namen und mit Ihrer Zustimmung! – Frau Univ.Prof. Dr. Beatrix Karl, Steirerin wie ich, Bundesministerin a.D. wie ich, aber um eine Generation jünger als ich, bitten.
Ich habe mich immer als Gastgeberin gefühlt und danke Gabi Singer und ihrem Mann von ganzem Herzen, dass sie uns das möglich gemacht haben.
Gastgeber zu sein für ein Diskussionsforum, dem Gesprächskultur, Respekt und Interesse an der Meinung sowohl der Vortragenden wie auch der Gesprächspartner wichtig sind.
Ich hoffe, wir konnten und können damit unseren – kleinen – Beitrag auch zur aktuellen Zeitgeschichte leisten.
Ich wünsche dem Ennstaler Kreis noch viele bereichernde Jahre miteinander!

Ramsau, 7. Oktober 2018

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