Quo Vadis: EU-Lateinamerika?

Vortrag Dr. Benita Ferrero-Waldner, EU-Kommissarin a. D., Präsidentin der EU-Lateinamerika-Karibik-Stiftung

Ferrero-Waldner präsentiert die EU-Lateinamerika-Karibik Stiftung: eine Stiftung nach deutschem Recht, die in kürze den Status einer Internationalen Organisation bekommen soll, und welche die Intensivierung der Beziehungen auf allen Ebenen zwischen der Europäischen Union und dem Raum Lateinamerika-Karibik zum Zweck hat. Sie soll als Netzwerk der Netzwerke und damit als Plattform, welche die Akteure aus verschiedenen Bereichen zusammen bringt, dienen. Sie soll auch eine Brückenorganisation zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen sein und die Zivilgesellschaft einbinden. Schwerpunkte der Arbeit sind zB Wirtschaft, Bildung (insb. Universitäten) und NGOs. Die Stiftung wurde in Madrid gegründet und nahm im November 2011 in Hamburg die Arbeit auf. Zu den strategischen Partnern gehören das Institut des Amériques (IDA) Paris, die Regione Lombardia, Milano in Europa und CEPAL (Kommission für Wirtschaftsfragen der Vereinten Nationen) in Santiago de Chile, und die FUNGLODE (Stiftung für Globalisierung und Demokratie) in Santo Domingo, Dominikanische Republik. BEI und OECD fungieren von Zeit zu Zeit als Partner sowie viele andere internationale Entwicklungsbanken, Institutionen oder Universitäten.

Vor einigen Jahren sprach man beim Verhältnis zwischen der EU und Lateinamerika eher von Entwicklungszusammenarbeit, heute gibt es einen Paradigmenwechsel. Die überseeische Kooperation nach Lateinamerika (das bis vor kurzem ignoriert wurde, der Fokus der EU lag auf anderen Regionen) ist heute Teil der Lösung. Die EU braucht Lateinamerika nicht zuletzt als Region, die riesige (potentielle) Absatzmärkte und große Kooperationsmöglichkeiten in vielen Bereichen bietet.

In den letzten Jahrzehnten stand die Region Lateinamerika ökonomisch nicht so gut da. Die Tequila Krise (in den 1990er Jahren) in Mexiko, die Corralito-Krise (vergleichbar mit der Zypern-Krise heute) in Argentinien und weitere Krisen (insgesamt an die 38 Wirtschaftskrisen) standen im Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit. Die Region galt zu dieser Zeit keineswegs als sichere Option für Auslandsinvestitionen.

Es scheint als hätten die lateinamerikanischen Staaten daraus gelernt, denn heute präsentieren sich diese Staaten auf internationaler Ebene als stabile und wachsende Märkte. Vor allem Brasilien, Mexiko oder auch Kolumbien möchten diese Bedeutung auf das internationale politische Gewicht umlegen. Brasilien zum Beispiel ist neben anderen Wirtschaftsriesen wie Russland, Indien, China und Südafrika Teil der BRICS. Es wird von einem ständigen ökonomischen Wachstum und vor allem im Fall von Brasilien von immer größer werdenden Wirtschaftsraten gesprochen. Allerdings ist die Heterogenität in Lateinamerika größer als in der Europäischen Union. Und dies ist in allen Bereichen sichtbar: etwa im politischen, im kulturellen, im sozialen, im Bereich der Kriminalität und in Bezug auf die Einkommensunterschiede.

Ferrero-Waldner betont, dass nicht mehr der Atlantik, sondern der Pazifik die aufstrebende Region ist. Von diesem Paradigmenwechsel profitieren nicht nur die großen, aufstrebenden Staaten Lateinamerikas wie Chile, Peru, Ecuador, Kolumbien, Brasilien oder Mexiko, sondern auch kleinere Staaten, wie Costa Rica oder Panama, enorm.

Das letzte Treffen der EU-Lateinamerika-Karibik Stiftung fand im Jänner 2013 in Santiago de Chile (Chile) statt. Dort wurde wieder auf die enorme Kluft im lateinamerikanischen Kontinent aufmerksam gemacht. Im Unterschied zu Österreich oder anderen EU-Staaten gibt es in den meisten Ländern Lateinamerikas keine oder eine nur mangelnde Gesundheitsversorgung. Auch gibt es kein Pensionssystem. Dies sind nur zwei Beispiele für die großen Herausforderungen Lateinamerikas. Hier gäbe es viele Möglichkeiten zur Verbesserung, vor allem eine Reform in der Fiskalpolitik wäre wünschenswert.

Die lateinamerikanischen Staaten verfügen über riesige Bodenschätze, doch brauchen sie vor allem im Bereich der Infrastruktur Investitionen für beispielsweise Transportwege und Ölpipelines. Zumeist geschieht die Finanzierung durch Auslandsinvestitionen. Vergleichbar ist diese Situation mit der Lage in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg (ab 1945). In der Folge wurden diverse Freihandelsabkommen geschlossen, über weitere mit der EU wird gerade verhandelt.

Die EU hat in Lateinamerika vor allem China, aber auch die USA als Konkurrenten. Wichtig ist die EU-Lateinamerika Partnerschaft auch in Hinblick auf die internationale Politik, zumal die gemeinsamen Staaten etwa ein Drittel der Mitglieder der Vereinten Nationen stellen.

Ferrero-Waldner berichtet vom ersten regionalen Treffen zwischen der EU und Lateinamerika, das sie als Staatssekretärin besuchte und deren Zustandekommen sie forcierte. Dieses fand 1999 in Rio de Janeiro (Brasilien) statt. Dort gab es drei Arbeitsdimensionen, auf die man sich konzentrierte:

Der politische Dialog
Die wirtschaftlichen Beziehungen
Die Entwicklungszusammenarbeit (abnehmende Tendenz)

Durch diese ersten Treffen konnten neue Märkte erschlossen werden (in starker Konkurrenz mit den USA). Der Fokus lag vor allem nach den Jahrzehnten der Wirtschaftskrisen auf der regionalen Integration. Die EU versuchte Lateinamerika Wege zur Integration (und ökonomischem Wachstum) zu zeigen (am Beispiel der EU selber, wie diese selbst gewachsen ist), doch Lateinamerika verfügt über ganz andere, unterschiedliche Voraussetzungen und gilt als sehr heterogen.

Das erste Interregionale Kooperationsabkommen zwischen der EU und den zentralamerikanischen Staaten wurde im Juni 2012 geschlossen. Die meisten zentralamerikanischen Staaten hatten trotz ihrer Nachbarschaft nie miteinander gearbeitet und befinden sich gerade dabei (wie die EU), die Zölle abzubauen. Ein sehr wesentlicher Schritt für die ökonomische Integration in der Region und ein Schritt in Richtung verbesserte Kooperation mit der EU. Hierfür wird gerade eine grundlegende, notwendige Basis geschaffen.

Auf bilateraler Ebene wurde ein Abkommen zwischen der EU und Chile unterzeichnet. Bei den Diskussionen stellten sich die Agrarfragen als die schwierigsten. Hier wurde vor allem darüber diskutiert, welche Waren in die EU importiert werden dürfen und welche nicht. Das zweite Abkommen wurde mit Mexiko (2000, in Madrid) und das dritte mit Kolumbien und Peru geschlossen. Ursprünglich war geplant, die gesamte
„Andengemeinschaft“ zu integrieren, doch durch die Zusammenschließung einiger dieser Staaten zu den „Alba-Staaten“ kam dies nicht zustande. Die Alba-Staaten standen unter dem Einfluss von Venezuelas Präsidenten Hugo Chavez. Dazu gehören Ecuador und Bolivien. Diese verließen dieses Abkommen aus Angst vor zuviel Liberalismus (Stichwort „Neoliberalismus“).

Neben der „Andengemeinschaft“ und Mexiko gibt es noch einen sehr wichtigen, strategischen Partner, nämlich Brasilien. Brasilien und Mexiko gelten als Rivalen, letzterer Staat hat unter der Wirtschaftskrise von 2008/2009 mehr gelitten als Brasilien. Vor allem durch die enge Bindung und Nähe zur USA. Doch nach Ferrero-Waldner steht Mexiko vor einer noch besseren Zukunft (vor allem im ökonomischen Bereich), denn
durch die Präsentation des sehr ehrgeizigen 10-Punkte-Programms des seit Dezember 2012 agierenden Präsidenten Enrique Peña-Nieto (PRI-Partei) würde Mexiko sehr wahrscheinlich eine erfolgreiche Zukunft bevorstehen. Ferrero-Waldner war bei der Präsidentschaftsübergabe im Dezember 2012 in Mexiko Stadt vor Ort.

Probleme gebe es zum Beispiel (neben vielen weiteren) im Bereich der Universitäten. Denn dort gebe es sehr gute oder schlechte Universitäten (vergleichbar mit den USA). Die sehr guten sind Privatuniversitäten und kosten sehr viel Geld. Dies kann sich nur eine Minderheit leisten und ist in ganz Lateinamerika der Fall.

Weitere Verbesserungsvorschläge gab Ferrero-Waldner an:

Die Wirtschaftsstrukturen sind in diesen Staaten zumeist veraltet und mangelhaft. Zwar ist eine Modernisierungstendenz zu spüren, doch braucht Lateinamerika mehr produktive Klein- und Mittelbetriebe und nicht wie früher oder noch jetzt, wenige, riesige Großunternehmen. Auch auf das Konzept des „Clustering“ (Bereiche werden vertikal und horizontal zusammengebracht) ging sie ein.

Eine weitere Problematik ist die Anerkennung von Zertifikaten und universitären Diplomen. Lateinamerika will nicht nur Programme wie ERASMUS usw. anbieten (auch in Kooperation mit der EU), sondern auch die Anerkennung von solchen Bildungszeugnissen in ganz Lateinamerika wie der EU durchsetzen. Hier soll eine vertiefte, verstärkte Kooperation stattfinden.

Der Bereich der Berufsausbildung soll auch restauriert werden. Dass in Lateinamerika aber auch in Staaten der EU wie Spanien, Portugal oder Griechenland hier ein enormer Handlungsbedarf besteht, zeigt der Fall Spaniens in der aktuellen Krise. Ferrero-Waldner verteidigt im Hinblick auf diese transnationalen Phänomene das österreichische (Aus- )Bildungssystem. In Österreich gibt es im Unterschied zu den meisten Ländern 236 anerkannte Berufsbilder.

Der Versuch „transparente Regeln“ durchzusetzen (eher wie die USA und EU, nicht wie China) sei ein wichtiger Punkt. Das Ziel, ein Freihandelsvertrag zwischen der EU und den USA zu etablieren, ist noch nicht geglückt, auch wenn Obama nun bereit zu sein scheint. Es sollte nach Ferrero-Waldner so funktionieren, dass es selbst in ökonomischen Krisenzeiten zu keinen protektionistischen Maßnahmen kommt. Das Ziel ist es, einen Freihandelsvertrag zwischen der EU-Lateinamerika-Karibik zu schließen.

Diskussion: Fragen zu Mikrokredite, Steueroasen in der Karibik, Drogenkrieg in Mexiko, Straflosigkeit in Mexiko unter dem aktuellen Präsidenten, Falkland Inseln, USA-Mexiko im Hinblick auf die Verantwortung im Drogenkrieg in Mexiko, Kapitalflucht aus Argentinien, Bedeutung der Hispanics in den USA, usw.