Revolution in der arabischen Welt: die Folgen für eine veränderte Geopolitik

Vortrag von Dr. Karin KNEISSL, Expertin für den Nahen Osten und Energiepolitik, Beirut/Wien
29. Mai 2011

Mit dem Vortrag „Revolution in der arabischen Welt: die Folgen für eine veränderte Geopolitik“ griff Nahostexpertin Dr. Karin Kneissl ein in den letzten Monaten brandaktuelles Thema auf. Dr. Karin Kneissl analysiert seit 2002 für den ORF aktuelle Entwicklungen im Nahen Osten und auf dem Energiemarkt und schreibt für zahlreiche deutsch- und englischsprachige Publikationen.

Dass es früher oder später zu einer sozialen Revolte im arabischen Raum kommen würde, ist bereits seit einigen Jahren absehbar. Schon im Jahr 2002 warnten Berichte des UNDP (United Nations Development Programme) vor bevorstehenden Volkserhebungen. In dessen Arab Regional Report wurde aufgezeigt, dass es in den 1990er Jahren in der gesamten Welt zu umfassenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen gekommen war, während die arabische Welt still stand. Dafür gab es vorwiegend zwei Gründe: Fehlende Freiheit und das Brachliegen der Hälfte der geistigen Ressourcen, sprich der weiblichen Bevölkerung.
Die demografische Tatsache, dass die Hälfte der Bevölkerung in beinahe allen 22 Ländern der arabischen Liga unter 25 Jahre alt ist, und der problematische Arbeitsmarkt gelten letztendlich als Auslöser für die Aufstände. Nicht mangelnde Bildung, sondern fehlende, adäquate Beschäftigung führte zu einer Revolte der zornigen, jungen Männer. Ohne Verbindungen oder Kontakte gibt es für einen Großteil der gut ausgebildeten, jungen Bevölkerung keine Chance auf einen geeigneten Arbeitsplatz.
Trotz unterschiedlicher, länderspezifischer Situationen und Gesellschaften sind gewisse Gemeinsamkeiten wie diese berufliche Perspektivenlosigkeit, aber auch die fehlende Angst vor dem Maktoub (Schicksal) auf dem Weg, die Würde zurück zu erobern, und die revoltierende Schicht der bürgerlichen Mittelklasse, erkennbar. Die Aufstände, die in der arabischen Welt gerade vor sich gehen, gleichen einer bürgerlichen Revolution. Vergleiche mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 aber auch mit den europaweiten, bürgerlich-revolutionären Erhebungen von 1848, liegen nahe.

Die Umstände, die zu den jetzigen Revolten geführt haben, hätten allerdings schon vor mehreren Jahren zu Aufständen führen können, möglicherweise haben aber die Kriege im Irak und in Afghanistan diese Entwicklungen hinausgezögert – dieser Meinung ist zumindest Volker Perthes von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik.

Durch den jetzigen Zeitpunkt der Revolutionen in den Staaten Nordafrikas und des Nahen Osten läßt sich  ein aktueller Trend neuer Kommunikation, –die sozialen Netzwerke, feststellen. Diese hatten zweifelsohne eine große Rolle für die Organisation der Proteste, allerdings handelte es sich – wie oft in den Medien kommuniziert und von Verfechtern des Web 2.0 jubelnd verkündet – bei den Aufständen im arabischen Raum noch lange nicht um eine „Facebook-Revolution“. Social Networks wie Facebook und Twitter stellten lediglich eine zusätzliche Möglichkeit der Kommunikation dar. Einen wesentlicheren Einfluss hatte der arabische Nachrichtensender Al Jazeera, der durch Berichte über Missstände und Korruption maßgebender Motor der Proteste war.
Die momentanen Umbrüche passieren zu einem besonders schwierigen Zeitpunkt in der Weltwirtschaft. Explodierende Lebensmittelpreise  – Weizenpreise sind binnen kurzer Zeit um 55 Prozent gestiegen – und hohe Staatsverschuldung erschweren zusätzlich einen wirtschaftlichen Neubeginn in arabischen Ländern.

Aber auch wenn der bevorstehende Wandel der arabischen Welt mit Rück- und Niederschlägen konfrontiert sein wird, kann bekanntlich keine Macht der Welt eine Idee aufhalten, deren Zeit gekommen ist.